»Sleepy Joe«, »crazy Nancy«– mit derlei Wendungen sucht der amerikanische Präsident Donald Trump seine politischen Opponenten herabzusetzen. Dass solche dumpfen Tricks funktionieren und greifen, nach wie vor, ist für Vernunftromantiker schmerzlich.
Eine rhetorische Analyse solchen Sprechens muss nicht weit ausholen, nicht tief schürfen – keine Raffinesse ist darin zu finden, keine Mehrdeutigkeit, so rüpelhaft und laut, wie es daherkommt. In rhetorischer Begrifflichkeit könnte man von einer »Insultatio« (Verhöhnung) sprechen, die »für den persönlichen Angriff, die Beleidigung oder Verspottung eines Gegners« (Biermann, Martin: Insultatio. In: Ueding, Gert (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4. Tübingen: Max Niemeyer, 1998. Sp. 444.) steht, oder von einer »Invektive«, einer vernichtenden Herabsetzung. Folgt man dem »Historischen Wörterbuch der Rhetorik«, so ist die Invektive nicht mehr zeitgemäß: »In der Politik wird der persönliche Angriff ebenfalls zurückgedrängt, allerdings mit der Ausnahme des Nationalsozialismus. In keiner Zeit wurde die Vernichtungskraft aggressiver Sprache so systematisch und so schonungslos eingesetzt wie in dieser. Mit bestimmten sprachlichen Mitteln wie Biologismen und Namensspott wird jedoch in einer barbarischen Pervertierung der antiken Invektive die physische Auslöschung der angegriffenen Person nicht durch sprachliche Angriffe ersetzt, sondern gezielt vorbereitet. Für die Gegenwart scheint das Mittel der persönlichen Diffamierung keine Legitimität mehr zu besitzen.« (Neumann, Uwe: Invektive. In: a. a. O. Sp. 558.) Womöglich trog der Schein am Ende des letzten Jahrtausends, als der Artikel im vierten Band des »Historischen Wörterbuchs der Rhetorik« erschien. Oder die Ansichten davon, was »legitim« ist, haben sich gewandelt. Wir sollten wohl nicht davon ausgehen, dass in den rhetorischen Formen politischer Auseinandersetzungen zwingend und immer nur ein Fortschritt zu verzeichnen wäre.
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit solch eine billigböse Rhetorik Wirkung entfalten kann? Wer auf diese Frage erschöpfend antworten wollte, könnte viele, viele Bücher füllen: über Bildung und den Mangel an derselben, über soziale Veränderungen, über Medienwandel, über ästhetische Fragen, über Geschmack, guten Stil und Umgangsformen und und und.
Dass wir zum Beispiel mit den sogenannten »sozialen Medien« eine Verrohung im politischen Diskurs und Phänomene wie »Hatespeech« hinzugewonnen haben, ist inzwischen Gegenstand medien- und kulturwissenschaftlicher Analysen geworden.(vgl. exemplarisch: Vidal, Francesca: Verletzende Bilder und Worte. Beispiele für diskriminierende Rede im Internet. In: Friedrich, Volker (Hg.): Sprache für die Form. Doppelausgabe Nr. 12 und 13, Herbst 2018, https://www.designrhetorik.de/verletzende-bilder-und-worte/ [Permalink].) Zu vermuten ist, dass es zwischen diesen Phänomenen der Ton-Verrohung und der Diskussionskultur in der Politik zu Wechselwirkungen kommt. Liegt darin ein Grund dafür, dass manche Politiker offenbar vermuten, wir Wähler goutierten Invektiven dieser Art? Warum nehmen Politiker an, das könnte bei den Wählern ankommen? Liegen sie mit diesen Annahmen völlig daneben? Oder haben sie uns »erkannt« und schätzen uns, zumindest in Teilen, gar nicht so falsch ein?
Über solche Fragen zu diskutieren, wäre nicht identisch mit dem Diskurs über irgendeine »korrekte« Sprache. Ironie, Sarkasmus, Polemik sollen gern ihren Platz einnehmen in politischen Auseinandersetzungen. Und ja, Satire darf alles. Dieses »alles« gewinnt aber ungeheuer an »Geschmack«, an Gehalt, wenn Satire und Ironie gekonnt dargeboten werden (was doch eine schöne Fügung ist: Gewinn an Gehalt durch Darbietung, durch Formgebung). Die billige von der guten Polemik unterscheiden zu können, setzte wiederum Urteilskraft und Stilsicherheit voraus – sowohl auf der Seite des Redners wie auch auf der Seite des Publikums. In den Sphären rhetorischer Geschmacklosigkeit gäbe es viel zu tun …