Ostern 2020 steht im Zeichen eines Virus, und wenn dies auch unwahrscheinlich klingt, die beiden Themen – das Fest und das Biest – können zusammenfinden. Nachzulesen ist das in dem 2015 erschienenen Buch »Supermacht des Lebens«, in dem Karin Mölling ihre Leser mit auf »Reisen in die erstaunliche Welt der Viren« nimmt.
Wie seit den Bemühungen unter dem Titel »Humanes Genomprojekt« bekannt ist, tragen Menschen massenhaft genetisches Material von ausgedienten Retroviren mit sich herum, also von Viren, die von der Natur mit Genen aus RNA auf die Reise geschickt werden und die DNA daraus erst anfertigen müssen – also retrograd. Die im Humangenom anzutreffenden Sequenzen von Retroviren stecken voller Stoppcodons und sonstiger Mutationen, die die Gene mehr oder weniger tot sein lassen, wenn das Wort für Viren überhaupt angemessen ist. Nun hat ein französischer Molekularbiologe sich eine Fülle der verkrümelter Retrovirus DNA angeschaut und daraus eine Virusgenom erst im Computer und dann mit einer Syntheseapparatur im Reagenzglas gebastelt – und siehe da: Das Ding lebte, das heißt, es vermehrte sich in den Zellen, in die seine DNA eingeschleust worden war. Wahrlich – die Auferstehung eines Toten.
Das Virus bekam den Namen von Phoenix, also des Vogels, der aus der Asche aufgestiegen ist. Man hätte es auch Dornröschen nennen können. Man wüsste nur zu gerne, wer Corona wach geküsst hat. Und wenn die Menschen dabei nicht gestorben sind, dann leben sie noch weiter.
Mölling, Karin: Supermacht des Lebens. Reisen in die erstaunliche Welt der Viren. München: C. H. Beck, 2014.
Ich danke Herrn Schön, frage ihn, ob er einmal in Konstanz an der Uni war, und möchte einen Satz loswerden, der mir im Kopf herumgeht, seit Donald Trump Desinfektionsmittel trinken wollte. Evolution meint – cum grano salis – das Überleben von Tüchtigen. Dazu gehört dann auch das Sterben der Dummen. Trump könnte der Erste sein. Das wollte er doch immer.
Und noch etwas zu Viren: Das Wort bedeutet ursprünglich „giftiger Schleim“. Dass ein Virus ein hübscher Gegenstand sein kann, muss nach wie vor überraschen.
Ob ich an der Uni KN war? Ja doch, lieber Herr Fischer, aber ja doch! Wir kennen uns seit den „Zwei Kulturen“ (WS 1990/91, zusammen mit Herrn Bachmaier). Freilich hatte ich zwischendurch fast 20 Jahre einen Lehrstuhl in Köln … Aber im Rahmen der Friedrich´schen Vortragsreihe haben wir uns doch auch schon zweimal wieder-getroffen.
Besiegt die Evolution die Dummheit? Ihr „Satz“, zur Frage verallgemeinert: Setzen sich in der Evolution die Tüchtigen durch; und eliminiert die Evolution die Dummen, die Dummheit? Eigentlich ist das ja Ihr Garten, trotzdem – zumal, was ich dazu sagen kann, eng anschließt an das, was ich in meinem eigenen Beitrag („Eine Erschütterung aller Gewissheiten“) geschrieben habe.
Evolution als „das Überleben von Tüchtigen“ ist ein Missverständnis. (= Übersetzungsproblem). Im Original bei Spencer/Darwin heißt es: „survival of the fittest“. Das darf nicht im Sinne des dt. „fit“ (bzw. oft „fitt“) verstanden werden ( = die Übersetzer nennen sowas „false friend“) im Sinne von gesund bzw. leistungsfähig („Jemand tut etwas für seine Fitness“). Es kommt vielmehr von „to fit“ = passen. D. h. Es überlebt derjenige, der – nota bene in einer bestimmten, je aktuellen(!) Situation – am besten angepasst ist, = am besten die aktuellen (!) Herausforderungen bewältigt. … auch, wenn er vielleicht ansonsten strunz-dumm ist! Wenn ein grenzdebiler durchtrainierter Marathonläufer und ein übergewichtiger Professor habil. Dr. Dr. mult. beide vor dem Säbelzahntiger weglaufen, dann wird einer dessen Frühstück, der andere nimmt sich ein Weib, zeugt Kinder, gibt seine Gene weiter und bestimmt so den Fortgang der Evolution. Wer wohl?
Die Evolution ist dumm und kurzsichtig. Dumm ist sie, weil sie kein Ziel hat. Ihr ein Ziel zu unterstellen, würde die Frage stellen, wer denn dieses gesetzt haben könnte etc. (In meinem Betrag rede ich von Erdbeben, die weder Strafe Gottes sind noch eine Bosheit der Natur, sondern Ergebnis der Plattentektonik – und deshalb nicht nach moralischen Kriterien beurteilt werden dürfen. Ziel meiner dortigen Rede: Bei Corona ist das auch so!) Auch die Evolution ist moralisch weder gut noch schlecht. (Eine andere Frage ist, ob die Menschheit vielleicht an der Schwelle steht, dass wir unsere eigene Evolution gezielt planen können, KI, Genetik etc.)
Und kurzsichtig ist die Evolution, weil es beim Überleben nur um den ganz aktuellen Moment geht. Für das evolutionäre Überleben spielt es keine Rolle, ob das, was im aktuellen Moment das Überleben sichert, vielleicht schon wenig später negative Folgen hat. (Um zu überleben, muss man eventuell die Kuh schlachten und essen, die dann am nächsten Tag keine Milch mehr gibt, die man am nächsten Tag zum Überleben brauchen würde. Aber die Milch morgen nützt nix, wenn man heute schon verhungert ist.) Allerdings gibt es auch noch andere Kriterien, z. B. sexuelle Selektion. Und vor allem können sich die Umwelt-Umstände – sei’s langsam, sei’s katastrophisch – ändern, sodass, was heute fit ist, es morgen schon nicht mehr sein kann. Und manches, was vor Zeiten un-fit war und deshalb untergegangen ist, wäre heute, wenn es überlebt hätte, vielleicht super-fit für zukünftige Herausforderungen.
Angewandt auf Ihre Frage: Die evolutionär-aktuelle (!) Herausforderung für den Herrn heißt: demnächst Wahlen. Also Wählerstimmen sammeln. Und da gilt: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Ob – danach! – die langfristigen Folgen negativ sind … In Ihrem Sinne „dumm“ sind die Wähler. He (!) fits (!) the Situation (!).
Also: Rottet die Evolution die Dummheit aus? – Nein! (Sie hätte dazu lange genug Zeit gehabt …)
Bleiben Sie gesund – und fit!
Erich Schön
Ernst Peter Fischer schrieb: „… die die Gene mehr oder weniger tot sein lassen …“
Vielen Dank für Ihren Beitrag, den ich auf das Veränderungspotential auf mir bislang vertrautes Denken hin gelesen habe.
Habe ich Sie recht verstanden, dass Sie im Blick auf Viren auf eine Wirklichkeit hinweisen, die weder tot noch lebendig ist, sondern die „mehr oder weniger tot“ bzw. lebendig ist? Müssen wir also im Hinblick auf Viren eine neue Art der Materie anerkennen? Oder müssen wir eher nach angemesseneren erkenntnisleitenden Unterscheidungen suchen (z.B. reproduktionsfähig/nicht reproduktionsfähig), mit deren Hilfe wir besser verstehen können, womit wir es bei Viren zu tun haben?
Wenn Letzteres zuträfe, hätte das nicht eminent praktische Konsequenzen bei der Bekämpfung des Virus? Man müsste sich dann nicht überlegen, wie man das Virus „töten“ und aus der Welt schaffen kann, sondern man müsste erforschen, welches die Bedingungen seiner Reproduktion sind und wie man ihm diese Bedingungen entziehen kann. Man sähe hier, wie sich eine Änderung der Denkrichtung auf die Problemlösung auswirkt. Wenn das zuträfe, wäre das nicht ein Beispiel dafür, wie philosophisches Denken lebenspraktische Folgen zeitigt?
Antwort an Herrn Wörz:
Viren sind an der Grenze – am Übergang – von Leben und Nichtleben. Allein vermögen sie nichts. In Zellen vermögen sie zu leben, sich zu vermehren, wobei ein erstes Virus, das eindringen konnte, seine „Mitviren“ darüber informiert und ein Signal zur Ermutigung sendet. Wenn sie leben, dann sofort als soziale Gemeinschaft – schon auf dieser Ebene.
PS: Ein Nachtrag zur Logik: Normalerweise sagt man „Tertium non datur“. Sein oder Nichtsein, ein Drittes gibt es nicht. Doch! Die Viren. Leben oder Nichtleben? Das ist die falsche Frage. Sie ist ebenso falsch wie „Gesund oder krank?“ Man schleppt sich halt durchs Dasein.
Liebe Leute,
schaut mal hier:
http://www.spektrum.de/kolumne/koennen-viren-sterben/1725990
… und bleibt gesund
Erich Schön