… des gegenwärtigen intellektuellen Klimas ist die Zuversicht, mit der irrationale Ansichten vertreten und so oft als fast selbstverständlich hingenommen werden.«
Karl Popper
Popper, Karl: Der Mythos vom Unhintergehbaren. Vortrag vom 27. Juli 1982, Bayerischer Rundfunk. In: ders.: Kritik und Vernunft. Von der Unendlichkeit des Nichtwissens. Reden und Gespräche. München: Der Hörverlag, 2001. CD 1, Titel 2.
Das Zitat scheint aktuell wie nie zu sein. Es stellen sich folgende Fragen. Ist die Normalisierung des irrationalen und populistischen Verhalten wieder umkehrbar? Werden Extreme durch aktuelle Krisen begünstigt und verschwinden sie nach einer Krise wieder aus dem Diskurs? Das Datum des Zitates zeigt das es in der Geschichte immer wieder zu ähnlichen Phasen gekommen ist. Demensprechend muss dieser Prozess auch umkehrbar sein.
Das Zitat von Karl Popper stammt aus dem Jahr 1982, hat aber an Aktualität bis heute nichts eingebüßt. Es werden beispielsweise aktuell von der heterogenen „Querdenken“-Bewegung eine Vielzahl irrationaler Ansichten vertreten, die weder belegt noch begründet sind: Abstruse Verschwörungs-Mythen werden als Wahrheit propagiert, wissenschaftlich belegte Wirksamkeit von Medizin und Nutzen von Impfungen verleugnet um nur einige Beispiele zu nennen. Die Tatsache, dass eine zahlenmäßig recht überschaubare „Bewegung“ eine große mediale Plattform erhält, zeigt, dass die Bereitschaft irrationalen Ansichten Bedeutung zu verleihen, durchaus vorhanden ist.
Erfreulich wäre es, wenn die irrationalen Ansichten tatsächlich zur Diskussion stünden und dadurch die Möglichkeit gegeben wäre, sie rational zu widerlegen. Aber diese Ansichten sind wohl eher eine Art Ersatzreligion, also genau genommen keine Ansichten, sondern Glaubenssätze. Und gegen Glauben zu argumentieren, ist ziemlich aussichtslos.
Der Beitrag von Frau Valter zum Zitat von Karl Popper aus dem Jahr 1982 hat mir gut gefallen. Ich stimme ihr auch in vielen Punkten zu. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, wer definiert Irrationalität? Eine privilegierte Minderheit? Die in einem trägen System von politischen und gesellschaftlichen Normen funktioniert? Sogenannte irrationale Ansätze sollten eher getestet werden. Funktionieren sie und sind sie möglicherweise nicht doch gerechtfertigt? Ist rational gleich richtig? Irrational gleich falsch? Es hat einen leichten Beigeschmack, eine Minderheit mit alten Argumenten eines weißen Patriarchats zu unterdrücken. Bedenken Sie, Frau Valter, dass Frauen bis vor kurzem noch als irrational und unzurechnungsfähig unterdrückt wurden und werden. Und dies auf der Basis sogenannter rationaler Argumentation.
Als Beispiel die Schweiz mit dem Wahlrecht der Frau seit 1971. Da wurde rational argumentiert, dass wenn die Frau Politik macht, die Gesellschaft zusammenbrechen würde. Frauen als Mütter wären in der Politik verloren, Politik sei ein zu schmutziges Geschäft für Frauen, und wenn Frauen sich in der Politik engagieren wollten, könnten sie das über ihre Ehemänner tun. Das sind alles rationale Argumente aus der Perspektive des Patriarchats der Vergangenheit oder Gegenwart. Für mich ist das aber keine Rationalität, die funktioniert.
Fun Fact: Bis das Gesetzt des Wahlechts für Frauen jedoch in allen kantonen der Schweiz umgesetzt wurde vergingen 20 Jahre. Seit 1990 dürfen Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden wählen. Und auch nur weil eine Frau vor Gericht auf ihr ir/rationales Recht plädierte.
Werte Frau Krank,
grundsätzliche Fragen passen gut zu den Anliegen eines Blogs, der sich der Philosophie und der Rhetorik widmet. Sie werfen die grundsätzliche Frage auf, wer Irrationalität definiert – und damit natürlich auch, wer Rationalität definiert.
Die Frage nach der chemischen Formel eines Elementes beantworten und definieren Chemiker, Fragen der Thermodynamik Physiker, Fragen der Stabilität einer Baukonstruktion Statiker, Fragen der Chirurgie Mediziner. Ich könnte da nicht mitreden, von diesen Wissenschaften verstehe ich leider viel zu wenig. Die Frage, was unter Vernunft, unter Rationalität verstanden werden kann, verfolgt seit bald 3000 Jahren die Philosophie. (Sollten Sie sich mit deren Geschichte und der des Vernunftbegriffes noch nicht intensiv befasst haben, könnten Sie daraus viele anregende Hinweise für Ihre Frage gewinnen, z. B. dass Vernunft und Zweckrationalität philosophisch zu unterscheiden sind.)
Dem Philosophen und Begründer des kritischen Rationalismus Karl Popper, dessen Zitat hier zur Diskussion steht, verdanken wir wertvolle Beiträge zur Diskussion über Rationalität. Eines seiner Hauptwerke darüber, die »Logik der Forschung«, schrieb er (in einer ersten Fassung) mit Anfang 30 – womöglich ist man in diesem Alter noch kein »alter weißer Mann« (wie der Autor dieser Zeilen und die meisten Autoren dieses Blogs das sind) …
Die lange philosophische Diskussion über Rationalität hat uns nicht alle Fragen beantwortet – das Fragen kann auch nicht aufhören –, aber sie hat uns viele hilfreiche Theorien und Methoden beschert, mit denen wir arbeiten und unsere Argumente nach rationalen Kriterien kritisch prüfen können. Welche dieser Theorien und Methoden in der Diskussion der Philosophie als bewährte angesehen werden können, wird in einem rationalen Diskurs ermittelt. Dieser Diskurs ist deshalb rational, weil er Argumenten auf ihre Qualität, auf ihre Folgerichtigkeit und auf ihre Plausibilität hin kritisch prüft. Für die Prüfung von Argumenten sind äußere Merkmale einer Person (wie Hautfarbe, Geschlecht, Alter o. ä.) nicht nur unerheblich; wollte man die Qualität eines Argumentes aus solchen äußeren Merkmalen herleiten, verstieße man nicht nur gegen die Ethik, gegen die Werte der Menschenrechte und des Grundgesetzes, sondern auch gegen rationale Kriterien und Methoden des beschriebenen Diskurses.
Eine ganz andere Frage ist, ob der philosophische Diskurs über Rationalität unsere gesellschaftliche und politische Realität zu durchdringen vermag. Der Mensch ist zwar, wie die Philosophen es schon früh erkannt haben, vernunftbegabt, er macht nur ungern Gebrauch davon. Täte er das, würde er wissenschaftliche Erkenntnisse wertschätzen und sich selbst kritisch einschätzen: Klug und rational ist es, vorauszusetzen, dass all unser Erkenntnisstreben, auch das der Philosophie und das der Wissenschaften, irrtumsanfällig ist. Wir können uns immer irren. Deshalb ist es so wichtig, rationale Methoden dafür einzusetzen, unseren Irrtümern auf die Schliche zu kommen. Ebenso ist es klug und rational, die Begrenztheit unserer eigenen und der menschlichen Vernunft vorauszusetzen – und ihre Grenzen mit den Mitteln der Philosophie und der Wissenschaft immer weiter auszudehnen. Dieser Weg wird immer von Irrtümern begleitet bleiben, aber es lohnt, ihn zu gehen und unsere Irrtümer aufzuklären. Kritik, die sich um die Verbesserung unserer Argumente bemüht, ist der Motor dieser Entwicklung. Solch eine Kritik beruht immer darauf, rationale und objektive Gründe zu nennen.
Schöne Grüße
Volker Friedrich (Herausgeber)
Dieses Zitat, welches nach wie vor und voraussichtlich für die Ewigkeit aktuell ist, beschreibt ein Unverständnis für die Akzeptanz absurde Ansichten. Die Gegenseite wird aber dadurch gezwungen, nach Argumenten für ihre Grundsätze zu forschen, anstelle sie als gegeben hinzunehmen. Ich hoffe also auf eine wachsende und fundiertere Diskussionskultur, insofern dies nicht auch einer irrationalen Ansicht mit vergeblicher Hoffnung entspricht.
Es stellt sich aber auch die Frage, woher die irrationalen Ansichten entstammen. Ist es Angst vor der Welt und Hoffnung für die Welt? Einige irrationale Träume sind verkleidet als Utopien und könnten losgelöst von vielen Zwängen einmal Realität werden. Andere sind allerdings lediglich menschenverachtend, sich selbst widersprechend und aufhetzend populistisch.