… zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur in der Empfindung gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis – der Tod sei nichts, was uns betrifft – die Sterblichkeit des Lebens erst genußfähig, weil sie nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt.«
Epikur
Epikur: Briefe, Sprüche, Werkfragmente. Ditzingen: Reclam, 1982. S. 43.
Das ist eine spannende Überlegung. Vielleicht kann sie auch genau diese Angst von uns nehmen. Der Tod ist unaufhaltsam, und wir wissen nicht, was danach kommt. Nach dem Motto: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.« Das kann ein Segen sein. Kopfzerbrechen führt zu nichts, wir leben im Hier und Jetzt und das müssen wir genießen. Vielleicht ist nach dem Tod alles noch besser, wie wir es uns hätten je erträumen können? Doch das wissen wir nicht. Deswegen müssen wir das schätzen, was wir haben, denn das kennen wir.
Epikurs Todesverständnis wirkt auf den ersten Blick recht simpel. Der Tod ist das Ende des Fühlens und das Ende des Bewusstseins. Er kann daher weder emotional noch körperlich schmerzhaft sein und ist damit nichts, was wir fürchten müssen. Und in diesem Punkt gebe ich Epikur Recht. Der Tod sollte uns nicht zu sehr beschäftigen, denn er ist unabwendbar und nicht kalkulierbar.
Aber ist es wirklich so einfach? Das Leben und der Tod sind zwei Zustände die nicht miteinander vergleichbar sind. Indem wir das eine erfahren verschließt sich das andere vor uns. Doch ist es nicht das Bewusstsein des eigenen bevorstehenden Todes, welches es uns erst ermöglicht das Leben als solches wertzuschätzen? Würden wir nicht ohne eben diese Furcht nur in der Trägheit des Seins vor uns dahinplätschern?
Und haben wir gleichzeitig wirklich Angst vor dem Tod? Oder ist es nicht vielmehr die Angst, sein eigenes Leben nicht gut genug gelebt zu haben?
Ich stimme Lisa Scholl hier zu. Die Angst vor dem Tod oder eben davor, sein Leben nicht zum höchsten Potential gelebt zu haben, ist unheimlich motivierend meiner Meinung nach. Der Wert des Lebens wird durch das Bewusstsein, wie kurz es doch ist, sehr gesteigert. Je älter ich werde und je klarer mir diese Tatsache wird, desto mehr versuche ich, bewusst jeden Augenblick zu genießen und wertzuschätzen und auch möglichst viele gesunde, lebensverlängernde Gewohnheiten in meinen Alltag zu integrieren. Wenn man etwas liebt, hat man in der Regel auch Angst davor es zu verlieren.
Symptome von Depressionen sind unter anderem Lustlosigkeit, Interessenverlust und Antriebslosigkeit. Menschen, die an Depressionen leiden, schweben oft auch in Suizidgefahr. Die Angst vor dem Tod sinkt und mit ihr auch die Motivation sein Leben zu leben.
Oft hört man von alten Menschen, die zufrieden sind und das Gefühl haben, das meiste aus ihrem Leben herausgeholt zu haben, dass sie keine Angst mehr vor dem Tod haben. Sie scheinen eine gewisse innere Ruhe mit sich zu tragen, eine Gewissheit, ihre Chancen ausgenutzt zu haben. Dieses Bewusstsein nimmt die Furcht vor dem eigenen Ende.
Ich schätze Frau Huss‘ Beitrag zu diesem Zitat von Epikur. Allerdings muss man zwischen der Angst vor dem Tod und der Sehnsucht nach dem ewigen Leben unterscheiden. Den Tod als eine Tatsache zu akzeptieren, die uns alle eines Tages ereilen wird, wir wissen nicht wann, ist die lebensbejahendste Einstellung von allen. Ich stimme mit Frau Huss überein, dass wir genau deshalb jeden Augenblick des Lebens genießen sollten. Es könnte der letzte sein. Wenn ich das aber aus Angst tue, durch frühes Sterben etwas zu verpassen, befinde ich mich in der Situation eines Getriebenen. Wenn man stirbt, bevor die eigenen Ansprüche an das Leben erfüllt wurden, dann stirbt man unter der quälenden Gewissheit, etwas verpasst zu haben. Diese Betrachtung macht das eigene Leben in diesem Moment unwürdig, weil es den eigenen Ansprüchen nicht genügt hat.
Wenn der Moment unseres Todes uns nicht betrifft, leben wir unser Leben ohne die Angst, etwas zu verpassen, weil wir die Tatsache akzeptieren, dass wir nicht die Gewissheit haben, wann wir sterben. Solange der Tod nicht da ist, sollten wir uns nicht um ihn kümmern. Wenn er kommt, kümmern wir uns nicht mehr darum, weil wir nicht mehr existieren.
Die Formulierung, „macht ….. die Sterblichkeit des Lebens erst genußfähig“, habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden. Ich interpretiere das Zitat als: Erst durch das Akzeptieren und, darauf folgend, Ignorieren des Todes gewinnt das Leben an Qualität, da sich die Gedanken und die Gefühle im hier und jetzt befinden und sich nicht mit der Zeit nach dem Tod beschäftigen.
Das macht Epikurs Gedanken auch in unserer modernen Zeit sehr relevant. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr einer Religion verpflichtet und glauben nicht mehr an ein Leben, einem Sein nach dem Tod. Somit wurden wir, wie Epikur es empfiehlt, befreit von den Gedanken, ob eine dritte Instanz (z. B. Gott) unser Leben beurteilt und wie es nach dem Tod weiter geht. Dennoch finde ich seine Worte auch für uns relevant, denn allein das Nicht-Sein, welches der Tod mit sich bringt, reicht um viele Menschen, mich mit eingeschlossen, den Tod fürchten zu lassen. Den Gedanken, dass dem Menschen aber ab Eintritt des Todes aufgrund der Abwesenheit jeglichen Schmerzes und Leids dieser eigentlich egal sein kann, finde ich sehr wohltuend.
Bei dem Nachdenken über dieses Zitat musste ich auch an die Sterbehilfe denken. Wenn der Tod selbst ein neutraler Zustand ist, sollte man dann leidenden, nicht mehr zu helfenden Personen nicht diese Option ermöglichen?
Für mich persönlich hat dieses Zitat jedoch, bis jetzt, keine große Relevanz, da Gedanken über den Tod und das Leben danach meine bisherigen Entscheidungen nicht beeinflusst haben. Dies habe ich aber wahrscheinlich auch Philosophen wie Epikur zu verdanken, welche unser heutiges Denken fort von den Fesseln der Religion und der Zeit nach dem Tod geführt haben.