Keine Warnung mehr vor dem Hunde

Vorsatz: Ich warne vor dem folgenden Text. Er ist mehr als ein Jahr alt, aber vielleicht lohnt es sich, ihn in die Gegenwart fortzuschreiben: 
Der Philosoph Hans Blumenberg hat einmal geschrieben, dass der nicht will, wenn Anstrengungen zu seiner Rettung auch dann unternommen werden, wenn er nichts davon weiß, in Gefahr zu sein. Ich möchte nicht penetrant von Leuten vor Gefahren gewarnt werden, an denen sie selbst nichts ändern. Warner wollen Wegweiser sein, ohne zu merken, dass diese Tafeln den Weg nicht gehen, den sie weisen. Ich warne vor den Warnern und bitte die Medien, uns ihre Warnungen zu ersparen. Hier Beispiele aus der Geschichte: Vor etwa hundert Jahren warnten Mediziner vor den Gefahren der Zellkulturen. Der Dichter Ringelnatz warnte die Brüder Jahns vor dem Gebrauch des Fußballwahns, und dann kamen die Philosophen. Heidegger warnte vor den Folgen einer daseinsvergessenen Wissenschaftsideologie, Adorno warnte vor einem falschen Gebrauch des Wortes Elite, und Habermas warnte vor den Folgen der Gentechnik und der Beschädigung des Suhrkamp Verlags. Ich warne an dieser Stelle vor den genannten Philosophen, was niemand zu Kenntnis nehmen wird, denn inzwischen kann sich ein Leser vor Warnungen nicht mehr retten: Die Ökonomen warnen vor einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Die Polizei warnt vor Trickbetrügern. Ärzte warnen vor den Folgen von Übergewicht. Ein Politiker warnt vor Germanwings. Konservative Abgeordnete warnen vor der Abwertung der Ehe. Die EU warnt den griechischen Ministerpräsidenten vor einer Annäherung an Russland. Präsident Putin warnt vor einer Atom-Konfrontation. Finanzexperten warnen vor Euphorie nach dem Stresstest der Banken. Ein Sprecher der Grünen warnt vor Lügen aus der türkischen Politik. Der Seewetterdienst warnt vor Sturmböen. Jürgen Klopp warnt seine Mannschaft vor dem nächsten Gegner. Der DFB warnt die Bundesliga Clubs vor zu vielen T-Shirt-Botschaften. Klimaforscher warnen die Menschheit vor extremen Unwettern. Umweltschützer warnen vor Fleischkonsum. Die Wirtschaft warnt vor dem Griff in die Rentenkasse und übereilten Iran-Sanktionen. Die Bundeskanzlerin warnt vor der Pegida. Juristen warnen vor Berufsverboten für ausscheidende Politiker. Präsident Obama warnte Israel vor einem Verlust seiner Glaubwürdigkeit und seinen russischen Amtskollegen vor einem irregeleiteten Streben. Bundespräsident Gauck warnte vor einem Völkermord in Zentralafrika und die Schweiz vor einer Distanzierung von Europa. Ingenieure warnen vor Frauenmangel am Arbeitsmarkt. Smartphones warnen vor Erdbeben (außer in Nepal). Sepp Blatter warnte die UEFA vor einer eurozentrischen Sicht der Welt. Die Ärztekammer warnt vor Ärzteberatern und Lücken in der Versorgung von Kindern. Margot Käßmann warnt vor einer Anbiederung der Kirchen an den Zeitgeist. Eine Direktorin der EZB warnt vor einer Geldschwemme und den Folgen der Geldpolitik. Die DFG warnt vor einer sinkenden Finanzierung der Universitäten und Nachwuchsmangel in der klinischen Forschung. Wissenschaftler warnen vor der Energiewende. Kirchen warnen vor sexueller Ideologie im Schulunterricht. Und der Papst warnt die Mafia vor den Qualen der Hölle, und damit ist es geschafft. Ein deutsches Wort gibt seinen Sinn auf. Es kann nichts mehr. Nicht einmal mehr vor dem Hunde warnen. Der muss künftig selber bellen.