… ›Ja, ich glaube an die Redefreiheit, aber –‹
– höre ich auf, zuzuhören.
›Ich glaube an die Redefreiheit, aber die Leute sollten sich benehmen.‹
›Ich glaube an die Redefreiheit, aber wir sollten niemanden verstimmen.‹
›Ich glaube an die Redefreiheit, aber wir sollten nicht zu weit gehen.‹
Entscheidend ist: In dem Moment, da man Redefreiheit einschränkt, ist es keine Redefreiheit mehr. Entscheidend ist, dass sie frei ist. Sie müssen ›Charlie Hebdo‹ nicht mögen, nicht alle Zeichnungen darin waren komisch. Sie können sie ablehnen, aber die Tatsache, dass Sie sie ablehnen, hat nichts zu tun mit deren Recht zu reden.«
Salman Rushdie
Zitat aus einem Vortrag über »Redefreiheit«, gehalten an der University of Vermont am 14.1.2015.
(Übersetzung: Volker Friedrich.)
Außer Frage steht meiner Meinung nach, dass Rushdie mit seiner Definition von Redefreiheit Recht hat. Eine »Redefreiheit«, die nicht absolut frei ist, darf sich nicht als eine solche ausgeben. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle auf die mitschwingenden Obertöne in Rushdies Erklärung eingehen, denn es gilt, diese absolute Redefreiheit hin auf ihre praktische Umsetzbarkeit in einer demokratischen Gesellschaft zu überprüfen:
Zu Beginn muss ich die tolerante, demokratische Gesellschaft, als eine erstrebenswerte und zu schützende Ordnung einführen. Vereinfacht gibt es in dieser Gesellschaft tolerante und nicht tolerante Menschen. Die daraus resultierende Problematik erläuterte Karl Popper im Jahr 1945 wie folgt:
Wenn Tolerante und Intolerante »auf der Ebene rationaler Diskussion zusammentreffen« und Intolerante beginnen »das Argumentieren als solches zu verwerfen« und zudem »Argumente mit Fäusten und Pistolen […] beantworten«, dann ist die Toleranz an und für sich in Gefahr.
Nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, und intolerante Philosophien weder durch rationale Argumente noch durch die öffentliche Meinung in Schranken gehalten werden können, sollte eine Gesellschaft sich das Recht nehmen »die Unduldsamen nicht zu dulden«. Wie Popper beschrieb, sollte die Gesellschaft in einem solchen Fall die »Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels«. Dieses Paradoxon der Toleranz auf die Thematik der Redefreiheit übertragen bedeutet, dass die Ausbreitung der uneingeschränkte Redefreiheit auf intolerante Mitglieder der Gesellschaft dazu führt, dass laut Popper dann die »die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen«.
Zuletzt bleibt es meiner Meinung nach jedem selbst überlassen, ob man die Demokratie durch die angesprochenen intoleranten Mitglieder oder über die »Redeunfreiheit« gefährden sollte. Fest steht, dass die faktische »Redeunfreiheit« in Deutschland durch das Verbot von Hetze, das Verbot der Holocaustleugnung und das Verbot der üblen Nachrede wenigstens oberflächlich zu einer toleranteren Gesellschaft führt.
Gedanken verschwinden nicht, indem man verbietet, diese auszusprechen.
Auch wenn uns eine Äußerung nicht gefällt, dürfen wir die Freiheit eines Menschen, seine Meinung kundzutun, nicht einschränken. Dies hat Salman Rushdie hier auf den Punkt gebracht. Meinungen müssen ausgehalten werden. Niemand darf aus einer Diskussion ausgeschlossen werden.
Wichtig in Bezug auf die Redefreiheit ist eine Differenzierung von Meinungsfreiheit und Hetze. Wer beispielsweise zu Gewalt aufruft, überschreitet eine Grenze des Sagbaren.
Nach unserer Diskussionsrunde ist mir dieses Zitat noch länger im Kopf geblieben. Denn auch wenn ich intuitiv dem Zitat zustimme, frage ich mich, ob es nicht Grenzen geben muss? Und wenn ja, wer diese festlegt? Wann sind die Grenzen zu eng gezogen, und wann sind die notwendig? In Deutschland haben wir ebenso Grenzen der Meinungsfreiheit, die dazu dienen, Menschen zu schützen. Sind diese, nach dem Zitat, nicht auch schon Einschränkungen?
Den Einwurf von Hannah Fischer verstehe ich gut. Ich denke jedoch, dass die in dem Recht auf freie Meinungsäußerung definierten Grenzen keine Einschränkung derselben im Sinne von Salman Rushdies Zitat darstellen. Denn wer an die Redefreiheit glaubt, sie also respektiert, respektiert implizit auch deren Grenzen. Dann kann es kein „Aber“ geben.
Ähnlich wie Herr Beckedahl ergab sich mir die Frage ob die Redefreiheit auch gleich der Meinungsfreiheit entspricht. Hierzu sei die Definition des Dudens heranzuziehen, welche folgende Bedeutung verzeichnet: „zum Grundrecht der Meinungsfreiheit gehörende Freiheit, jederzeit und ohne Gefahr öffentlich reden und seine Meinung sagen zu können“.
Somit geht die Redefreiheit mit der Meinungsfreiheit einher. Denn was nützt es schon zu reden, wenn man nicht seine Meinung äußern darf? Eine Frage, die sich mir allerdings daraus stellt, ist ab wann die Meinungsfreiheit zu einer Diskriminierung wird? Wenn Menschen durch eine Meinung verletzt oder gar ausgegrenzt werden, sollte man solchen Meinungen dann noch den nötigen Raum geben um mehr Schaden anzurichten?
Auf der anderen Seite sollten diskriminierende Weltanschauungen nicht im Verborgenen bleiben und vor sich hinbrodeln, bis daraus weitaus schlimmere Folgen wie Hass entstehen können, sondern besser durch einen offen Diskurs in eine moralisch vertretbare Richtung gelenkt werden. Ich befinde mich also in einem gewissen Zwiespalt, wo und ob Grenzen in der Redefreiheit bestehen können.
Enthält die Redefreiheit auch automatisch die Meinungsfreiheit? Es gibt genügend menschenverachtende Perversionen, die auf den Rücken von verschiedenen Minderheiten aufgebaut werden. Man kann leider nicht davon ausgehen, dass jeder sich der Verantwortung seiner Worte bewusst ist.