Ein Sinn dafür, was gut für andere ist: Ein Sprichwort sagt, geben sei seliger als nehmen. Entsprechend ließe sich Herzensbildung vorläufig so beschreiben: zu spüren, was anderen guttut, und dies dann gern für sie tun.
In diesem Sinn verfügen die beiden Menschen in folgendem Beispiel über Herzensbildung: Jakob Fabian, Anfang Dreißig und promovierter Germanist, muss in Erich Kästners Roman »Fabian. Die Geschichte eines Moralisten« im Berlin der 1920er Jahre ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. In einem möblierten Zimmer wohnend, ist er froh, in der Werbeabteilung einer Zigarettenfabrik Arbeit zu haben, wird aber später auch dort entlassen. Seiner besorgten Mutter, die ihm liebevolle Briefe aus der heimatlichen Kleinstadt schreibt und selbst in ärmlichen Verhältnissen lebt, verschweigt er, dass er arbeitslos geworden ist. Als sie ihn für ein paar Tage in seinem möblierten Zimmer besucht, gibt er immer morgens vor, zur Arbeit zu gehen. Bei ihrer Heimfahrt treffen sie sich daher gleich am Bahnhof. Dort kauft Fabian ihr, obwohl er kein Geld mehr hat, für die Fahrt etwas zu essen und schiebt ihr, schon im Eisenbahnwaggon, heimlich einen Zwanzigmarkschein in die Handtasche. Wieder in seinem Zimmer angekommen, findet er einen Gruß seiner Mutter:
»Auf dem Tisch standen Blumen. Ein Brief lag daneben. Er öffnete ihn. Ein Zwanzigmarkschein fiel heraus, und ein Zettel. ›Wenig mit Liebe, Deine Mutter‹, war daraufgeschrieben. In der unteren Ecke war noch etwas zu lesen. ›Iß das Schnitzel zuerst. Die Wurst hält sich in dem Pergamentpapier mehrere Tage.‹ Er steckte den Zwanzigmarkschein ein. Jetzt saß die Mutter im Zug, und bald mußte sie den anderen Zwanzigmarkschein finden, den er ihr in die Handtasche gelegt hatte. Mathematisch gesehen, war das Ergebnis gleich Null. Denn nun besaßen beide dieselbe Summe wie vorher. Aber gute Taten lassen sich nicht stornieren. Die moralische Gleichung verläuft anders als die arithmetische.« (Kästner, Erich: Fabian. Geschichte eines Moralisten, Werke, Bd. 3. München u.a.: Hanser 1998, S. 113.)
Gerade indem die guten Taten der beiden einander rechnerisch aufheben, tritt der besondere Stoff vor Augen, aus dem das Gute besteht: Es ist auf ganz eigene Weise immateriell, unsichtbar und schwer zu fassen. Es scheint ohnmächtig und wie ein Nichts angesichts der Gesamtsituation, und doch ist es von immensem Gewicht. Die beiden Personen aus dem Beispiel haben einen Sinn dafür. Sie sind arm, doch sie haben Herzensbildung.
Vorabdruck aus: Thomas, Philipp: Bildungsphilosophie für den Unterricht. Kompetente Antworten auf große Schülerfragen. Tübingen: Francke (UTB), 2021 (erscheint zum 1.10.2021).
Herzensbildung hat laut dem Beispiel sehr viel mit Nächstenliebe und Selbstlosigkeit zu tun. Anderen Menschen etwas Gutes zu tun – vor allem, denen die uns wichtig sind –, ist schließlich genau das, was uns glücklich macht. Dabei steht der emotionale Wert und die Geste deutlich vor dem materiellen Wert.
Oft haben diese Gesten auch etwas mit einem Überraschungsmoment zu tun. Wie in dem Beispiel auch freut man sich über diese persönlichen Gesten mehr, wenn sie unerwartet und auf die aktuelle Situation angepasst sind.
Meiner Meinung nach sind solche Taten wichtig in zwischenmenschlichen Beziehungen zu den Menschen, die uns am nächsten stehen. Sie zeigen uns, dass wir einander wichtig ist.
Diese Geschichte hinterfragt indirekt den Sinn von „Geschenken“ an Geburtstagen, Weihnachten oder anderen vordefinierten Terminen. Sind diese vielleicht eher als unmittelbarer / zeitlich getrennter Tausch, repräsentatives Zeichen oder Statussymbol zu verstehen?
Eine Herzensbildung, wie es sie in der Geschichte gab, rufen die oben genannten Anlässe mit Sicherheit nicht hervor.
Das Wort Herzensbildung ist ja an sich schon wunderschön, die Bedeutung noch schöner. In diesem Beispiel wird auch deutlich wie wichtig es ist, nichts als Gegenleistung zu erwarten und dann davon überrascht zu werden, dass der andere auch gerne Gutes tut. Beide haben unabhängig voneinander dem jeweils anderen eine Freude bereiten wollen und haben bestimmt nicht damit gerechnet das genau so zurück zu bekommen.
Ich glaube jeder hat diese kleinen Gesten mit denen er anderen eine Freude bereiten möchte, aber sie kommen auch nicht bei jedem gleich an und nicht jeder versteht sie gleich.
Ein schönes Beispiel über Herzensbildung.
In ihrem Beispiel äußern Mutter und Sohn ihren Sinn in der gleichen Geste und es scheint, als wären diese dadurch sinnlos gewesen. Jedoch denke ich (wenn man das Materielle nicht außer Acht lässt), dass sie beide den Zwanzigmarkschein mit ganz anderen Augen sehen werden und ihn dadurch auch anders verwenden.
Selbstredend bleibt die Geste, unabhängig von der Materialität immer in ihren Gedächtnissen und wenn man so will in ihren Herzen.
Ich denke, dass man selbst viel zu oft nicht merkt was Gesten bewirken können – seien sie noch so klein.
Dieses Gefühl, dass in einem losgelöst wird, wenn man unerwartet etwas Gutes erfährt aber auch Gutes gibt, ist unbeschreiblich und in gewisser Weise auch Notwendig für das “Menschsein”.
Meiner Meinung nach trägt jeder etwas “Gutes” oder den gewissen “Sinn” in sich – nur äußert es jeder auf die ganz persönliche Art und Weise.